Von Mensch zu Mensch

Gschichtn

aus‘m Leben

Die Musikerin Jazz Gitti erzählt aus ihrem bewegten Leben – von glücklichen Kindheitstagen, Schicksalsschlägen und ihrer musikalischen Karriere. Der Wiener Schmäh hat ihr auch in schweren Zeiten geholfen.


Text: Alexandra Gruber Fotos: Sebastian Freiler

Gitti war schon als Kind eine Frohnatur. Ihre Hunde Jamie und Guggi sind bei Ausflügen ins Waldviertel immer dabei.

W

ir treffen Martha Margit Butbul alias Jazz Gitti an einem sonnigen Sommertag in der kleinen Waldviertler Gemeinde Rastenfeld bei

ihrer Freundin, Kauffrau Maria Pöll, die die Zusammenkunft arrangiert hat. Die beiden lernten sich vor ein paar Jahren auf einem Event kennen. „Ich komm ursprünglich auch aus der Lebensmittelbranche, meine Mutter hat lange ein Geschäft in Kaisermühlen gehabt“, erzählt Gitti.


Unbeschwerte Wiener Kindheit

Aufgewachsen ist Gitti in Wien-Leopoldstadt am Mexikoplatz. „Daheim ist immer der Schmäh grennt, an meine Kindheit habe ich schöne Erin- nerungen“, erzählt die Künstlerin im breitesten Wienerisch. Diese Aussage überrascht, denn Gitti ist 1946 geboren und in einer Stadt groß geworden, die in Trümmern lag. „Das klingt vielleicht komisch, aber die zerbombten Häuser waren unser Spielplatz. Die russischen Besatzungssoldaten haben uns in Ruhe gelassen, wir waren ja Kinder.“ Auch Not musste sie nicht leiden, die Eltern verdienten genug mit dem Geschäft. „Aber viel hab ich nicht von ihnen gehabt, sie haben ja Tag und Nacht gearbeitet“, sagt sie. Als Kind habe sie sich sehr frei gefühlt, es gab nur eine Auflage: „Wenn es dunkel war, musste ich zuhause sein.“ Die Mutter erzählte manchmal von ihrem Bruder, Gittis Onkel, der angeblich in Syrien leben sollte. „Sie wollte mir verheimlichen, dass er ein Israeli war, damit ich mich nicht verplappere und in der Schule diskriminiert werde.“ Gittis Mutter war Jüdin. Der Vater desertierte, um seine Frau vor den Nazis zu verstecken und in den Wider- stand zu gehen. Ihre Eltern überlebten Krieg und Nazi-Terror, im ersten Friedensjahr kam Gitti auf die Welt.


Ein früher Schicksalsschlag

Als Gitti 13 war, kam ihre Mutter ins Spital, ein Jahr später starb sie. „Das war ein schwerer Schock für mich, der mich mein Leben lang prägte.“ Der Vater war in dieser Zeit mit seiner eigenen Trauer beschäftigt, und so kam es, dass Gitti als 14-Jährige ganz alleine zu ihrem Onkel nach Israel flog. „Meine Verwandten habe ich vorher nicht gekannt, aber sie haben mich herzlich empfangen. Meine Tante fand mich allerdings zu dick und hat mich auf Diät gesetzt“, lacht Gitti. „Ein halbes Jahr später kam ich mit rund 30 Kilo weniger zurück nach Wien.“ Der Vater hatte in der Zwischen- zeit das „Espresso Gitti“ am Mexikoplatz eröffnet und die Jugendliche machte ihre ersten Erfahrungen im Gastgewerbe. „Zwei Jahre hab ich dort gearbeitet, dann gingen mir die ewigen Streitereien mit meinem Vater und seiner neuen Frau auf die Nerven. Als mich eine Cousine auf ihre Hochzeit nach Israel einlud, hab ich sofort meine Koffer gepackt. Eigentlich wollte ich nie mehr zurückkommen.“


Abpaschen nach Israel

Nach den Feierlichkeiten lernte Gitti in einem Kibbuz Hebräisch. „Schreiben und Lesen kapiere ich bis heute nicht, aber geredet habe ich sofort wie ein Wasserfall.“ Nach dem Kibbuz arbeitete sie als Kindermädchen und in einem Souvenir-Shop. In dieser Zeit lernte sie den Vater ihrer Tochter Shlomit kennen, die 1965 geboren wurde. Wenn Gitti von ihrem Ex-Mann spricht, nennt sie ihn „der Butbul“. „Ich habe schon bald bemerkt, dass das mit ihm nix wird. Drei Jahre lang arbeitete ich als Putzfrau, weil er kein Geld nach Hause gebracht hat.“ Dabei war eine Familie immer ihr großer Traum. „Ich bin als Einzelkind aufgewachsen. Als Jugendliche wollte ich keine Karriere, sondern einen lustigen Mann, fünf Kinder und eine Villa Kunterbunt.“ Gitti fand einen besseren Job als Kellnerin in einem Eissalon am Hafen von Haifa, der ihr viel Spaß machte und bei dem sie gut verdiente. „Ich habe den Israelis beigebracht, was Trinkgeld ist, die kannten das nicht. Ich sagte ihnen, dass der Wiener Schmäh halt was kostet.“ Doch ihre Ehe wurde immer unglücklicher. Obwohl sie eigentlich in Israel bleiben wollte, packte sie Anfang der 1970er- Jahre ihre Koffer und flog samt der kleinen Tochter zurück nach Wien. „Der Butbul hätte sonst eine Trennung nie akzeptiert.“


Die singende Wirtin

Zurück in Österreich arbeitete sie als Kellnerin im Lokal „Jazz bei Freddy“. Nach einer kurzen Episode als Versicherungsvertreterin machte sie sich als Wirtin selbstständig. Zwischen 1973 und 1986 führte sie hintereinander vier Lokale. Sie war nicht nur Wirtin, sondern unterhielt ihr Publikum auch mit Gesang und Schmäh. In dieser Zeit tauchte Stefan Weber, der Bandleader der anarchistischen Rockgruppe Drahdiwaberl, bei ihr auf und heuerte sie für einen Auftritt an. „Ich kam in einem langen, blumen- gemusterten Kleid aus Nylon auf die Bühne und sang ,Im Prater blühen wieder die Bäume‘“, erinnert sie sich. „Es war schräg, aber das Publikum hat es geliebt.“ Sechs Jahre lang arbeitete Gitti mit der Band zusammen. Trotz Übergewichts trat sie in Korsagen und hautengen Bodys auf und wurde damit Kult. Nach ihrer Zeit bei Drahdiwaberl gründete sie die Band „Jazz Gitti & her Discokillers“.


Durchbruch als Musikerin

1986 endete ihre Zeit als Gastronomin, seitdem lebt sie von der Musik. Schon mit ihrem ersten Album „A Wunda“ und der Hitsingle „Kränk di net“ gelang ihr 1990 der Durchbruch. „Eine gute Geschäftsfrau war ich aber nie“, resümiert sie. Vor mehr als 20 Jahren lernte Gitti den damaligen Banker Roman Bogner kennen und lieben. Er übernahm ihr Management unter einer Bedingung: „Er kümmert sich um Termine und das Finanzielle, ich unterhalte die Leute. Diese Arbeitsteilung funktioniert perfekt, seitdem habe ich einen ruhigen Kopf.“ Roman sei aber nicht nur ihr Partner, sondern auch ihr bester Freund und Lebensmensch. „Auch als wir uns einmal vor- übergehend getrennt haben, hat er sich um mich gekümmert“, erzählt sie.


Wie aus Martha „Gitti“ wurde

Eine Frage bleibt. Woher kommt eigentlich der Name Gitti? „Meine Großmutter musste vier Kinder versorgen und war finanziell sehr schlecht gestellt. Manchmal war sie sehr verzweifelt. Aber sie hatte eine wohlhabende Schwester, die Gittl, die ihr von Zeit zu Zeit ein Packerl mit Lebensmitteln schickte. Deshalb hatte dieser Name für meine Mutter zeit- lebens eine positive Bedeutung. Und weil ich so ein lustiges Kind war, hat sie mich Gitti genannt.“


Das Stehaufweiberl

Ihr Humor hat ihr auch durch schwere Zeiten geholfen. Denn das Leben hat es nicht immer gut mit ihr gemeint: der frühe Tod der Mutter, die un- glückliche Ehe in Israel, körperliche Probleme – Gitti musste bis zu ihrer Magenverkleinerung vor einigen Jahren mit Übergewicht kämpfen. „Manche blöden Sprüche wegen meines Gewichts haben mich schon sehr gekränkt“, sagt sie dazu. „Das Leben geht halt immer auf und ab. Nieder- fallen ist keine Schande, aber Liegenbleiben ist überhaupt nicht leiwand.“ Wie geht Gitti mit den Schattenseiten des Lebens um? „Ich kränke mich fürchterlich und tue mir kurze Zeit schrecklich leid. Dann gehe ich schlafen und am nächsten Tag stehe ich auf und mache weiter.“ Nachsatz: „Mit Schmäh kommt man leichter durchs Leben.“

www.jazz-gitti.at

Waschechte Waldviertlerin trifft waschechte Wienerin: Kauffrau Maria Pöll und Jazz Gitti lernten sich vor ein paar Jahren auf einem Event kennen und sind seither be- freundet. Und natürlich kauft Gitti nur bei Maria Pöll ein, wenn sie in der Gegend ist.

„Als mich eine Cousine nach Israel eingeladen hat, hab ich die Koffer gepackt und wollte nie wieder zurück.“

Wo Gitti ist, wird viel gelacht.

 Tochter Shlomit Butbul ist in die Fußstapfen der Mama getreten und arbeitet eben- falls als Sängerin.

„Niederfallen ist keine Schande. Aber Liegenbleiben ist überhaupt nicht leiwand.“

Fotos mit Tochter und im roten Kleid: Picturedesk

Gitti liebt es, ihr Publikum zu unterhalten, und tritt gerne in schrägen Kostümen auf (ein Bild aus den 90er-Jahren).

Die hats

Martha Margit Butbul alias Jazz Gitti

kauft im Nah&Frisch Geschäft von

Maria Pöll in 3532 Rastenfeld, NÖ, ein.

Zur Vollansicht bitte antippen.

www.matchaustria.at