Wenn plötzlich
alles anders ist
Wie kann man unter den gegenwärtigen Bedingungen die Nahversorgung im Ort sichern? Ein Blick in den Alltag unserer Kaufleute und ihrer Mitarbeiterinnen in Zeiten der Corona-Krise.
Text: Marcus Fischer Fotos: Originalbilder der Kaufleute
„Der 13. März war wirklich mein Freitag, der 13.“, lacht Kauffrau Maria Höller- mann aus Mannswörth (NÖ). Am Vortag hatte Bundeskanzler Kurz die Corona- Maßnahmen verkündet. „Schon am Freitagvormittag hat sich die Lage zuge- spitzt, da waren fünfmal so viel Kunden im Geschäft. Wir haben Vollgas gege- ben, neben unseren Mitarbeiterinnen hat auch die Familie mitgearbeitet. Zu Mittag hab ich mir schon Sorgen gemacht, wie es am nächsten Tag weitergehen soll. Alles war weg: Milch, Butter, Brot, Obst, Gemüse, Nudeln, Klopapier.“ Nach einem Anruf beim Großhandelshaus Kastner kam am Abend noch eine Zwischenlieferung. „Das war unsere Rettung, damit hatten wir alles bis auf Frischware im Geschäft.“ Bis spät in der Nacht haben Maria, ihr Mann Rocco, ihre Geschwister und Eltern die Lieferung eingeräumt. Was allerdings noch fehlte, waren Obst und Gemüse.
Eigeninitiative gegen Engpässe
Am nächsten Morgen hat Kaufmann Rocco Höllermann Obst, frischen Salat, Erdäpfel und anderes Gemüse direkt von den landwirtschaftlichen Betrieben und Gärtnern in der Umgebung abgeholt. Und schon am Vormittag war in
ihrem Geschäft – zur Freude der Kunden – die Versorgungslücke geschlossen. Als (Kauf-)Mann der Tat erwies sich in dieser Situation auch Rudi Zotter aus Irnfritz im Waldviertel (NÖ). „Der Freitag war ein Wahnsinn. Unsere Kunden haben eingekauft wie vor Weihnachten. Wie ich gesehen hab, dass es knapp wird, hab ich mich ins Auto gesetzt und bin die Bäckereien im Ort und in der Umgebung abgefahren und hab für meine Kunden eingekauft.“ Mit Erfolg, denn das vom Kaufmann organisierte Brot und Gebäck reichte aus, um die Engpässe zu überbrücken.
Voller Einsatz für die Kunden
„Jeder Tag ist eine neue Herausforderung – da kannst nicht lang überlegen, da musst handeln!“, beschreibt Kaufmann Gebhard Baumann aus Kohfidisch (Bgld.) die Situation. „Du kannst aber noch so schnell sein, wenn dein Partner nicht mitzieht, stehst du da mit leeren Regalen. Bei uns wars zum Glück genau umgekehrt. Wir haben bei unserem Großhandelshaus ange- rufen – und die Ware war so schnell bei uns im Geschäft, dass wir zu einem Zeitpunkt, wo der Mitbewerb komplett leergekauft war, schon wieder
frisches Obst, Gemüse und Molkereiprodukte anbieten konnten. Sogar aus Oberwart sind Kunden zu uns gekommen – das ist immerhin 20 Kilometer entfernt –, um Salat, Paradeiser, Obst und Milch zu kaufen.“
Alle versorgen, Ältere schützen
Kaum war der Ansturm der ersten Tage bewältigt, stand die nächste Her- ausforderung vor der Tür: Wie kann man die Nahversorgung so organi- sieren, dass alle versorgt und, insbesondere die älteren Menschen, geschützt werden? Kauffrau Viktoria Troger aus Gußwerk (Stmk.): „Wir haben uns sofort mit dem Bürgermeister und der Gemeinde in Verbindung gesetzt und überlegt, wie wir das schnell auf die Beine stellen können. Uns ist ja die Zeit davongelaufen. So haben wir einen Lieferservice auf Vertrauens- basis organisiert: Wir nehmen die Bestellungen auf, stellen die Waren zu- sammen, 35 ehrenamtliche Helfer liefern sie aus und die Kunden bekom- men Erlagscheine zum Bezahlen. Das ist natürlich ein Risiko, aber wir sind noch nie enttäuscht worden.“ Das Entscheidende in dieser Situation war die zeitnahe Lieferung – denn gerade ältere, alleinstehende Menschen können nicht Tage auf ihre Lebensmittel warten. Was in „normalen“ Zeiten selbstverständlich erscheint, war es damals keineswegs: Bestellte man bei einer der großen Handelsketten im Internet, musste man zwischen vier und vierzehn Tage auf seine Lebensmittel warten!
Nahversorgung als Lebensader des Dorfes
„Alles, was bei mir bis 13 Uhr an Bestellungen reinkommt, wird noch am selben Tag geliefert“, beschreibt Maria Höllermann ihren Service. „Wenns dringend ist, lass ich alles im Geschäft liegen, setz mich ins Auto und liefere“, schildert Gebhard Baumann seinen Alltag. „Ich hab mich immer schon als Nahversorger verstanden und in dieser Situation umso mehr“, so der Kaufmann. In manchen Orten versorgen die Kaufleute ihre Kunden nicht nur mit Lebensmitteln. Durch die enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde stellt z. B. Kaufmann Herbert Sientschnig in Schäffern (Stmk.) auch dringend benötigte Medikamente zu – und trägt so ganz wesentlich zum Schutz der am meisten gefährdeten Personengruppen bei.
Bis an die Belastungsgrenze
Allerdings bringt die neue Situation für viele Kaufleute und Mitarbeite- rinnen auch erhebliche Belastungen mit sich – besonders wenn sie Familie und Kinder haben. Davon weiß Kauffrau Viktoria Troger aus Gußwerk (Stmk.) zu berichten. „Wir haben Mitarbeiterinnen, deren Partner auch voll arbeitet. Wer kümmert sich da um die Kinder daheim? Mit denen muss man ja lernen – das ist im Grunde ein Job für sich. Wie soll sich das ausgehen, wenn man nicht auf die Großeltern ausweichen kann? Da gehts manchmal schon an die Grenze.“ Freizeit habe sie überhaupt keine mehr, auch einige ihrer Mitarbeiterinnen nicht mehr. „Man muss jetzt stark sein – wir wissen, dass es eine Ausnahmesituation ist, und da halten wir zusam- men“, so die Kauffrau. Manfred Moyses, Kaufmann in Oggau (Bgld.), hat aus dieser Situation die Konsequenzen gezogen: Um seine fünf Mitarbeite- rinnen zu entlasten und ihnen Zeit für ihre Kinder zu geben, hat der Vater zweier Söhne beschlossen, sein Geschäft nachmittags geschlossen zu halten. Als er seine Entscheidung auf Facebook veröffentlicht, wird das Posting über 4.000 Mal angeklickt – und unzählige Male geliked.
Neues Zusammengehörigkeitsgefühl
„Das Schönste für mich ist, wie jetzt alle im Dorf zusammenhelfen“, sagt Kaufmann Franz Moser aus Markt Ardagger (NÖ). Er selbst hatte ganz besondere Herausforderungen zu meistern. Weil ein Kunde infiziert war, wurde sein Geschäft zwei Wochen lang unter Quarantäne gestellt. Ein
Totalausfall drohte. Doch gemeinsam mit dem Bürgermeister, der Familie und freiwilligen Helfern konnte ein Bestellservice im Notbetrieb geführt werden – bei dem alle mithalfen. Vom Zusammenhalt im Ort weiß auch Kaufmann Ferdinand Penz aus Sankt Margarethen (Stmk.) zu berichten: Als die neue Verordnung in Kraft trat, spendete der Bürgermeister eine Ladung Schutzmasken, die er nun an die Kunden weitergeben konnte.
Dankbarkeit von allen Seiten
„Wir bekommen so viel positive Rückmeldungen – vom Bürgermeister, von der Gemeinde, von unseren Kunden – da weißt du wieder, warum du das alles machst“, so Kaufmann Manfred Moyses. Rudi Zotter ergänzt: „Wenn ich meinen älteren Kunden den Einkauf vor die Tür stell und dann seh, wie sie sich freuen und am Fenster winken, das ist die schönste Bestäti- gung für meine Arbeit.“ Eine Kundin von Kauffrau Petra Bauer aus Pfaffen- schlag (NÖ) drückte ihre Dankbarkeit zu Ostern auf besonders rührende Weise aus: Sie übergab der Kauffrau ein Nest bunter Ostereier mit Auf- schriften wie „Ei love Nah&Frisch“, „Vielen Dank“, „Ei love you“.
Appell für die Zukunft: „Kaufts im Dorf!“
„Viele Kunden haben durch die Entwicklungen der letzten Wochen gemerkt, wie wichtig ein Nahversorger im Ort ist“, so Kaufmann Günter Trafler aus Piesendorf (Sbg.). „Natürlich hoffen wir, dass uns nicht nur die Stamm- kunden die Treue halten, sondern auch jene, die uns neu entdeckt haben.“ Gebhard Baumann wünscht sich, „dass es ein Umdenken gibt und die Menschen sich erinnern: Der Bäcker, der Fleischhauer, der Nahversorger haben mich damals gut bedient. Und drum werd ich auch nach der Krise die dörflichen Strukturen unterstützen!“ Einen eindringlichen Appell richtet Maria Höllermann an die Kunden: „Bitte schauts auf die Regionalität und kaufts beim Händler im Ort ein“, so die Kauffrau, „weil bei uns gehts ums Überleben! Dafür garantieren wir Versorgungssicherheit – auch und gerade in schwierigen Zeiten.“
Die Kaufleute Maria und Rocco Höllermann aus Mannswörth (NÖ) und Kaufmann Gebhard Baumann aus Kohfidisch (Bgld.) haben wie viele andere Kaufleute eine
perfekte Logistik entwickelt, um ihren Kunden in kürzerster Zeit die bestellten
Lebensmittel zustellen zu können.
„Ich bin so stolz auf jeden einzelnen meiner Mitarbeiter, denn ohne den Willen, die zusätzlichen Kilometer zu gehen, hätten wir die Situation nicht bewältigt.“
Gebhard Baumann
Kaufmann Rudi Zotter aus Irnfritz (NÖ) beliefert seine Kunden in der Mittagspause und nach Geschäftsschluss.
„Ohne unser Großhandelshaus hätten wir diese Krise nicht gemeistert. Dafür ein riesiges Dankeschön! Ich bin aber auch so dankbar, dass uns die Mannswörther so geholfen haben und uns jetzt die
Treue halten.“
Maria Höllermann
Kauffrau Viktoria Troger aus Gußwerk (Stmk.) hat gemeinsam mit der Gemeinde in kürzester Zeit einen Lieferservice auf Vertrauensbasis aufgebaut.
Hygieneservice für die Kunden – Kauffrau Sonja Schinhan aus Schrattenberg (NÖ) stellt eine mobile Wadchgelegenheit vor ihrem Geschäft auf, damit sich die Kunden in aller Ruhe die Hände desinfizieren klönnen.
Kreativ durch die Krise: selbst genähte Masken im Nah&Frisch Look von Kaufleutefamilie Trafler aus Piesendorf (Sbg.).
Dankeschön einer Kundin an Kauffrau Petra Bauer aus Pfaffenschlag (NÖ).
Kaufmann Franz Moser, der dank breiter Unterstützung im Ort unter schwierigen
Bedingungen einen Bestellservice einrichten konnte.
Für ihre Kunden gestaltete Kauffrau Ingeburg Plankensteiner aus Feichten (T)
Masken im trachtig-eleganten Look – für ihre Mitarbeiterinnen sogar mit
aufgestickten Namen.
Ein herzliches Dankeschön
… an alle Kaufleute und Mitarbeiterinnen für ihren großartigen Einsatz!
… an alle Kunden für ihre Treue und ihr Verständnis!
… an alle Ehrenamtlichen im Ort für ihre Mithilfe!
… an alle Bürgermeister und Gemeinderäte für die tolle Zusammenarbeit!
… an alle Großhandelshäuser für die schnelle und un- komplizierte Versorgung der Kaufleute!