Von Mensch zu Mensch

Gschichtn

aus‘m Leben

Ernst Platzer wurde bei einem Motorradunfall schwer verletzt. Kurz darauf verließ ihn seine Frau, auch seinen Beruf konnte er nicht mehr ausüben. Im Gespräch erzählt er, wie er diese schwere Zeit bewältigt hat.


Text: Alexandra Gruber Fotos: Christian Huber

I

m März 2020 trudelte in der Griaß di Redaktion ein bemerkenswerter Leserbrief ein. Der Verfasser erzählte von seiner 90-prozentigen Be-

hinderung, verursacht durch einen schweren Motorradunfall, und in wei- terer Folge davon, wie er bei der Bewältigung des Alltags seit Jahren von den Mitarbeiterinnen seines Nahversorgers unterstützt wird. Hier ein kurzer Auszug: „… Seit Jahren bin ich Kunde bei Nah&Frisch Berger in Niederwaldkirchen und habe die größtmögliche Unterstützung von Chef ,Markus‘ und von allen ,Mädels … Es ist einfach toll, wie viel Hilfe mir hier angeboten wird, und es ist mir ein Bedürfnis, einmal ein großes Dankeschön zu sagen …“


Ein paar Monate später besuchen wir Ernst Platzer in seinem Haus in Niederwaldkirchen, einer Gemeinde im oberen Mühlviertel. Es ist ein strahlender Herbsttag, von Ernsts Garten aus hat man einen wunderschönen Ausblick auf die sanfte Hügellandschaft und saftige Wiesen. Er empfängt uns mit Kaffee, Keksen und einem freundlichen Lächeln. Es gehe ihm gut und er sei zufrieden, sagt er. Das ist nicht selbstverständlich, denn das Leben hat dem knapp 70-Jährigen einst übel mitgespielt.


Ein Bub mit sechs Schwestern

„Aufgewachsen bin ich in Admont in der Obersteiermark. Meine Kindheit habe ich in guter Erinnerung, obwohl wir streng erzogen wurden. Ich bin das zweitälteste von sieben Geschwistern und der einzige Bua, da hat man gewisse Vorteile.“ Er grinst. Mit 14 Jahren verließ Ernst sein Elternhaus, um zunächst die Lehre und danach das Bundesheer zu absolvieren. Fünf Jahre in Deutschland folgten, im Anschluss baute er mit seiner ersten Frau ein Haus im Kremstal. 1979 kam sein Sohn zur Welt. Wenige Jahre später sollte sich das Leben der Familie mit einem Schlag ändern.


Der Schicksalstag

„Es war an einem Sonntag im Jahr 1988. Ich war mit meinem Motorrad auf der kurvenreichen Bundesstraße zwischen Windischgarsten und St. Pankratz unterwegs“, erinnert sich Ernst an seinen Schicksalstag. „Es war ruhig auf der Straße, lediglich zwei Fahrzeuge fuhren vor mir. Ich wollte überholen, plötzlich wechselte einer der beiden Autofahrer ohne Blinken die Spur und schleuderte mich gegen die Leitschienen.“ Durch den Sturz wurde der linke Unterschenkel von Ernst zertrümmert und von der Leitschiene abgetrennt. „Ich war bewusstlos, bis die Flugretter kamen“, erzählt er. Der Schwerverletzte registrierte nicht einmal, dass es sich bei einem der Sanitäter um seinen Cousin Josef Platzer handelte. „Er hat später ein Buch über seine Erfahrungen als Flugretter geschrieben und berichtet darin auch von meinem Unfall.“ Ernst zieht ein blaues Buch aus dem Regal und blättert zu den betreffenden Seiten. „Mir bedeutet es viel, dass mein Cousin diese Bege- benheit festgehalten hat.“


Schuldlos verunglückt

Ernst verlor durch den Unfall den linken Unterschenkel und erlitt zudem schwere Verletzungen am linken Oberarm. „Ich hatte keine Schuld, sondern war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Der Verunglückte wurde ins Krankenhaus nach Kirchdorf gebracht, einige schwere Operationen folgten. „Danach kam ich nach Hause. Es war eine schwierige Zeit, ich war ein kompletter Pflegefall und saß im Rollstuhl. Einen Arm konnte ich über- haupt nicht bewegen, den zweiten nur teilweise. Meine damalige Frau hat mich gepflegt.“ Doch die Situation belastete sie sehr, ein paar Monate später reichte seine Frau die Scheidung ein.


Der lange Weg zurück ins Leben

Anschließend verbrachte Ernst drei Monate im Tiroler Rehabilitations- zentrum Bad Häring. „Dort bekam ich eine Prothese, dadurch wurde ich wieder halbwegs mobil.“ Es folgten mehrere Operationen und Rehas, langsam verbesserte sich der Zustand von Ernst. Wie bewältigt man so eine Situation? „Am Anfang war es schon zach“, sagt er nachdenklich. „In der Reha gab es Patienten, die für immer im Rollstuhl sitzen würden. Mir wurde klar, dass es mir besser ging, denn ich konnte wieder gehen lernen. Seine Familie gab ihm Kraft. „Mein Sohn war damals zehn Jahre alt, er hat mich oft besucht, obwohl es auch für ihn eine schwere Zeit war, auch wegen der Scheidung.“ Die Eltern und Schwestern sowie Arbeitskollegen kamen ebenfalls häufig vorbei.


Neuer Job und neue Beziehung

Der gelernte Mechaniker konnte seinem Beruf nicht mehr nachgehen. Zweieinhalb Jahre nach dem Unfall fand Ernst schließlich einen Bürojob, den er fast 15 Jahre ausübte. „Ich hatte administrative Aufgaben, schrieb Rechnungen und Aufträge.“ 1994 kaufte er ein Haus in Niederwaldkirchen und zog ins Mühlviertel. „Dann lernte ich meine zweite Frau Wanwilai, eine Thailänderin, kennen. Ein Kollege hat sie mir vorgestellt. Jetzt sind wir bald 20 Jahre verheiratet.“ Doch auch die Folgen des Unfalls setzten ihm noch immer zu. „Mit 55 Jahren bin ich in Frühpension gegangen. Der Stumpf machte mehr und mehr Probleme, ich hatte oft Schmerzen.“


Fünf-Personen-Haushalt

Aus dem Nebenraum hören wir das Brabbeln eines Kleinkindes. „Meine Stieftochter Wiwi, ihr Lebensgefährte Fabian und der fast einjährige Theo sind vorübergehend bei uns eingezogen, bis ihr eigenes Haus fertig ist“, erzählt Ernst. Als er Theos Namen ausspricht, bewegen sich die Mundwinkel des stolzen Opas weit nach oben. Von seinem Garten aus sieht man direkt auf das angeschlossene Grundstück mit dem Neubau, in den die junge Familie in wenigen Monaten einziehen wird. „Wiwi ist die Tochter meiner zweiten Frau. Mit elf Jahren ist Wiwi nach Österreich nachgekommen und konnte kein Wort Deutsch. Ich habe damals jeden Tag stundenlang mit ihr gelernt.“ Die junge Frau ist mittlerweile 27 Jahre alt und spricht fließend „Oberösterreichisch“.


Gassi gehen und Schach spielen

Auf einem Regal über dem Küchentisch stehen Pokale aus der aktiven Zeit als Mitglied des Motorradclubs „Nach dem Unfall habe ich versucht, wieder Motorrad zu fahren, aber das war ein frommer Wunsch – das ist natürlich nicht mehr gegangen. Aber ich bin noch immer ein Motorsport- Fan und lasse kein Rennen im Fernsehen aus. Ich lese auch viel, vor allem Zeitungen.“ Außerdem geht der Pensionist gerne mit dem Familienhund, Bologneser Benny, spazieren. „Nach 20 Minuten muss ich meistens rasten, weil mir die Prothese wehtut. Dann ziehe ich sie kurz aus, bis es besser wird. Darum trage ich meistens kurze Hosen.“


Starker Lebenswille

In Niederwaldkirchen hat Ernst neue Freunde gefunden, er trifft sie im Kaffeehaus oder zum Schachspielen. „In der Gemeinde habe ich sehr viel Rückhalt. In dem Brief wollte ich mich bei den Menscha bedanken, die mir seit Jahren bei den Einkäufen zur Hand gehen, weil ich nicht mehr als ein paar Kilo tragen kann.“ Die „Menscha“, von denen Ernst Platzer spricht, das sind die Mitarbeiterinnen im Nah&Frisch Kaufhaus Berger in Nieder- waldkirchen. Mit seinem Schicksal hadert er schon lange nicht mehr. „Den Lebenswillen habe ich nie verloren. Ich bin keiner, der aufgibt und in Depressionen verfällt“, sagt Ernst Platzer.

Ernst kann heute wieder lachen.

Die Preise aus seiner aktiven Zeit als Mitglied des Motorradclubs hat er alle aufgehoben.


„Den Lebenswillen hab ich nie verloren. Ich bin keiner, der aufgibt und in Depressionen verfällt.“

Nach seinem Unfall saß Ernst lange Zeit im Rollstuhl, heute geht er mit Familienhund Benny spazieren.

Mit Ehefrau Wanwilai hat er sein zweites Glück gefunden. So manche Dekoration in Haus und Garten verrät, dass sie aus dem buddhistischen Thailand stammt.


„In dem Brief wollte ich mich bei den Menscha bedanken, die mir bei den Einkäufen zur Hand gehen.“

Enkerl Theo und seine Eltern wohnen vorübergehend im Haus von Oma und Opa, die Familie gibt Ernst bis heute viel Kraft. 1994 zog der gebürti- ge Steirer ins Mühlviertel, seitdem genießt er die herrliche Landschaft und die sozialen Kontakte in der Gemeinde.

Im Garten hinter dem Haus zieht Wanwilai Kräuter und Chilischoten, Ernst geht ihr manchmal bei der Ernte zur Hand.





Mei Kunde

Ernst Platzer

kauft im Nah&Frisch Geschäft Berger in 4174 Nieder- waldkirchen, OÖ, ein.

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www.weltvonhaas.at