Riesen tanzen Walzer auf Dorfplätzen, junge Burschen reiten aufungesattelten Norikern und im Gebirge erhellen magischeFeuersymbole die Nacht: Jetzt wird der Sommer gefeiert!
Text: Ute Fuith
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ie sind bis zu sieben Meter hoch, 100 Kilogramm schwer und ziehenvon Juni bis August durch die Dörfer. Gestemmt werden die archai-
schen Riesenfiguren von einem einzigen Mann. Das Samsontragen imLungau zählt zu den wohl spektakulärsten Sommerbräuchen Österreichs.„Es reicht zurück in die Zeit der Gründung des Kapuzinerklosters inTamsweg“, erzählt Edi Fuchsberger. Der langjährige Obmann der LungauerVolkskultur hat sich eingehend mit der Geschichte des Umzugs beschäftigt:„Im Barock veranstalteten die Ordensbrüder prunkvolle Umzüge, beidenen Geschichten aus der Bibel dargestellt wurden“, erzählt Fuchsberger.„Dabei ging es wahrscheinlich darum, den Menschen, die nicht lesenkonnten, die christliche Lehre näherzubringen“.
Der Riese Samson in der Bibel
Eine andere These über den Ursprung des Brauchs sieht einen Zusam-menhang mit der Gegenreformation. Durch das Samsontragen sollten diezum evangelischen Glauben übergelaufenen Christen wieder zum Katho-lizismus zurückgebracht werden. Das erklärt vielleicht auch, warum dieUmzüge an hohen katholischen Feiertagen wie Fronleichnam, Gründon-nerstag oder dem Bruderschaftsmontag (eine Woche nach Fronleichnam)stattfanden und -finden. Die Figur des Samsons verkörpert den erfolgreichenKampf gegen Ungläubige. „Im Alten Testament vernichtet Samson alleinTausende Philister. Er gilt als unbezwingbar. Dann verliebt er sich in Delilaund verrät ihr, dass seine Stärke in den Haaren liegt. Delila liefert ihndaraufhin seinen Feinden aus, die ihm die Haare schneiden und ihn insGefängnis stecken.“
Im Inneren des Riesen: Kraft & Taktgefühl
Im Lungauer Brauch liegt der erzählerische Fokus aber nicht auf der tra-gischen Liebesgeschichte, sondern auf der Unbeugsamkeit Samsons. Wieihr biblisches Vorbild tragen auch die Salzburger Samsone Eselskinnbacken.Feinde werden damit aber nicht mehr erschlagen. Der Samson im Lungauist nämlich eine freundliche Figur. Höhepunkte der Umzüge sind dieTänze, die Samson zu den Walzerklängen der Musikkapelle, darbietet.„Deshalb müssen die Samsonträger neben großer Muskelkraft auch Takt-gefühl haben“, weiß Fuchsberger. Unterstützt wird der Samsonträger vonvier „Aufhabern“, die den Träger entlasten, wenn er eine Pause braucht.Sieben der insgesamt zehn Lungauer Samsone werden außerdem von einemZwergenpärchen begleitet, das dafür sorgt, dass sich der Riese seinen Wegdurch die Schaulustigen bahnen kann. Die Figuren selbst sind aus Holzund selbst geschmiedeten Nägeln gebaut und werden von Generation zuGeneration weitergegeben und gepflegt. Neben den Lungauer Samsonengibt es noch zwei weitere in der benachbarten Steiermark. Alle Samson-gruppen treffen sich nächstes Jahr am 23. August zum großen zweitägigenJubiläumsfest in Tamsweg. Dabei wird das 300-jährige Bestehen desBrauchs gefeiert.
Den Untergailtaler Kirchtag/ziljski žegen hat seine Form seit dem 18.Jahrhundert weitgehend beibehalten. „Der Kirchtag beginnt mit einerFestmesse, zu der unverheiratete Mädchen und Burschen getrennterscheinen. Sie tragen dabei die traditionelle Untergailtaler Tracht/ziljskanoša. Nach der Messe wird gesungen und bei den einzelnen GasthäusernHalt gemacht“, beschreibt Peter Wiesflecker. Der Historiker kennt denBrauch seit seiner Kindheit. Er ist in Feistritz geboren und hat viel dazubeigetragen, dass der Untergailtaler Brauch im Vorjahr ins Verzeichnisdes Immateriellen UNESCO-Kulturerbes aufgenommen wurde.
Kufenstechen & Lindentanz
Beim Kirtag wird zu Mittag die traditionelle Saure Suppe/čisava župaserviert. Danach kommt das Kufenstechen/štehvanje. Dabei bilden dieZuschauer eine Gasse und die Burschen reiten mit Musikbegleitung aufungesattelten Noriker-Pferden ein. Die Kufe wird auf dem Pfahl befestigtund die Burschen versuchen, sie mit einem Eisenschlögel/količ zu zer-schlagen. Jener Bursche, der die Kufe endgültig zerschlagen hat, erhälteinen Blumenkranz. An das Kufenstechen/štehvanje schließt sich derLindentanz/prvi rej an. Dabei wird zu unterschiedlichen Melodien langsamund schnell getanzt. Der Kirtag ist eine integrative Veranstaltung, an dernicht nur Einheimische, sondern auch gebürtige Untergailtaler teilnehmen.Und Gäste sind natürlich auch willkommen.
Feuerzauber im Außerfern
Wenn am 22. Juni 2019 der längste Tag auf die kürzeste Nacht trifft, wirddas im Talkessel rund um Ehrwald, Lermoos und Biberwier spektakulärgefeiert. Auf den steilen Hängen und Graten des Wettersteinmassivs, desGrubigsteins, der Sonnenspitze und weiterer Berge rund um die Zugspitzebringen rund tausend Feuerstellen die Landschaft zum Leuchten. Bis zu200 Meter hohe Flammengemälde, an die 1.000 Feuerstellen und 25leidenschaftliche Bergfeuergruppen verwandeln die Bergwelt in brennendeKunstwerke. Die Feuer werden bei Dämmerung gegen 22 Uhr entzündet,den besten Rundumblick hat man vom Ehrwalder Moos – der Ebenezwischen den Orten Ehrwald, Lermoos und Biberwier. Welche Motivedabei zum Leuchten gebracht werden, bleibt bis zum Schluss ein gutgehütetes Geheimnis.
Flammengemälde in der Sonnwendnacht
Ein Rückblick auf vergangene Bergfeuer lässt allerdings ahnen, dass esauch heuer wieder einiges zum Staunen geben wird. „Es gab schon sehrausgefallene Motive, wie zum Beispiel ein Christus-Porträt, Engel, eineMadonna, aber auch weltliche Motive wie Gämsen, Hirsche oder Edelweiß“,erzählt Ewald Somweber. Er ist seit mehr als 25 Jahren dabei. Im Verein„Bergfeuer Ehrwald“ ist er für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Fürdie Bergfeuer gibt es genaue Baupläne. Ein Motiv kann bis zu 180 Meterlang sein. Man muss aber auch das Gelände gut kennen und die Verzer-rungen mitberechnen, die durch die Höhe entstehen können“, weiß derEhrwalder. Als Brennstoff dienen in Rapsöl getauchte Sägespäne.
Bergfeuer sind Präzisionsarbeit
Er selbst überprüft vom Tal aus mit seinem Fernrohr, ob die Sägespan-Bündel auch richtig platziert sind. Jede der teilnehmenden Bergfeuer-gruppen hat übrigens ihre Stammplätze. „Es ist notwendig, sämtlicheEigenheiten und Herausforderungen des Geländes zu kennen“, erklärtSomweber. Außer zur Sommersonnenwende werden die Bergfeuer nurganz selten und nur für Mitglieder angezündet. „Bei meiner Hochzeithaben meine Vereinskollegen zwei brennende Ringe in die Bergwandgemalt.“ Nicht-Mitgliedern wird diese Ehre aber nicht zuteil: „Wir wollenden Brauch nicht kommerzialisieren“, unterstreicht Somweber. BeiSchlechtwetter werden die Ehrwalder Bergfeuer um eine Woche verschoben.